Leitlinien zur Bewahrung von gefährdeten kirchlichen Bibliotheksbeständen

Durch die Zusammenlegung oder Auflösung zahlreicher kirchlicher Einrichtungen wie Klöster, Pfarreien oder Bildungseinrichtungen ist auch deren reichhaltiges Bibliothekserbe betroffen. Aufgrund der Häufung und der Brisanz der in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen und Probleme hat die Arbeitsgemeinschaft Katholisch-Theologischer Bibliotheken (AKThB) „Leitlinien“ erarbeitet, die in solchen Fällen zur Orientierung dienen sollen. Die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 2. bis 5. März 2009 hat die „Leitlinien“ zustimmend entgegengenommen und empfohlen, sie als Rahmenempfehlungen in den Diözesen zugrunde zu legen.

1. Allgemeine Grundsätze

In eindringlicher Weise hat sich die Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche in ihrem Schreiben vom 19. März 1994 mit dem Thema „Kirchliche Bibliotheken in der Sendung der Kirche“ beschäftigt und betont, dass die Sorge um die Kulturgüter ein wesentliches Instrument der Evangelisierung ist. Sie vertritt nachdrücklich den Grundsatz, dass „alles vermieden werden [sollte], was der Bewahrung und dem Schutz, der Pflege und der Förderung, der Benutzbarkeit und der Zugänglichkeit dieser Bibliotheken entgegensteht“ (1.3). Diese Aufgabe darf nicht hinter vermeintlich wichtigeren pastoralen Aufgaben zurückstehen. Die Erhaltung bedrohter Bibliotheksbestände ist nach Auffassung der Päpstlichen Kommission insofern eine besondere Verpflichtung, als sie wichtige Kulturgüter sind und der eigenen direkten Verantwortung der Kirche anvertraut bleiben sollen.

2. Fachliche Kriterien

Angesichts des mit der Übernahme oder Auflösung großer Bibliotheksbestände verbundenen erheblichen Aufwandes ist zunächst anhand fachlicher Kriterien und in transparenter Weise zu überprüfen, welche Maßnahmen geboten sind. Jede Bewertungsentscheidung sollte dokumentiert werden.

2.1. Erhaltung von Gesamtbeständen

In sich geschlossene oder organisch erwachsene Bibliotheksbestände ideellen Wertes sollen soweit möglich erhalten werden. Der ideelle Wert des Bestandes bemisst sich danach, ob er aufgrund seiner Zusammensetzung bereits an sich einen besonderen Quellenwert etwa im Hinblick auf die Geschichte und kulturelle Prägung einer Person, Gruppe, Einrichtung oder Region besitzt.

2.2. Auflösung von Bibliotheksbeständen

Besitzt ein Bibliotheksbestand in seiner Gesamtheit nur einen geringen ideellen Wert, soll er aufgelöst oder nur in Teilen übernommen werden. Übernommen werden können dabei generell nur solche Bestände, die in das Profil der übernehmenden Bibliothek passen bzw. einen ideellen Wert besitzen. Bücher und andere Medien, die sich durch einen individuellen Charakter oder eine besondere Gestaltung auszeichnen, sind grundsätzlich aufzubewahren. Kriterien dafür sind insbesondere Seltenheit (vor allem im kirchlichen Bereich), Entstehungsprozess (z. B. Besonderheiten im Druck oder in der Einbandgestaltung), Herkunft (z. B. Besitzeinträge) und Benutzung (z. B. Glossen oder andere Lesespuren). Diese Merkmale sind in der Regel bereits ungeprüft bei einem Erscheinungsdatum vor 1800 vorauszusetzen. Der ideelle Wert kann sich zudem aus der inhaltlichen Bedeutung für die betreffende Institution, die Region oder die wissenschaftliche Forschung ergeben. Ein weiteres Beurteilungskriterium ist der materielle Wert der Bücher, d. h. es muss festgestellt werden, ob durch deren Verlust ein materieller Schaden für die Einrichtung entstehen würde.

Im Falle einer Abgabe oder Makulierung müssen die betroffenen Werke aus eventuell vorhandenen Inventarverzeichnissen ausgetragen und gegebenenfalls entwidmet werden. Die entsprechenden Dokumente sollen aufbewahrt werden.

2.3. Ersatzformen

Die Erhaltung des Originals hat grundsätzlich Vorrang. Im Einzelfall ist auch eine Ersatzverfilmung bzw. Ersatzdigitalisierung möglich. Eine Ersatzdigitalisierung setzt voraus, dass eine Langzeitverfügbarkeit der Daten sichergestellt ist. Im Fall der Abgabe oder Makulierung kann gegebenenfalls die Zusammensetzung des Bestandes durch Kataloge oder Inventarlisten dokumentiert werden.

3. Aufbewahrungsorte

3.1. Mögliche Aufbewahrungsorte

Auf der Grundlage der fachlichen Bewertung kommen insbesondere folgende Modelle für die Aufbewahrung kirchlicher Bibliotheksbestände in Frage:

  • - Bewahrung vor Ort,
  • - Eingliederung in benachbarte kirchliche Bibliotheken (ganz oder teilweise),
  • - Zentralisierung in den Diözesen nach dem Belegenheitsprinzip,
  • - Bildung von Schwerpunktbibliotheken (z. B. nach thematischen Kriterien bei unterschiedlichen Trägern)
  • - Abgabe an kirchliche Einrichtungen außerhalb Deutschlands.

Erhaltenswerte Bibliotheksbestände sollten möglichst in kirchlicher Verantwortung bleiben. Im Fall der Weitergabe an andere Institutionen ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Herkunft nachvollzogen werden kann.

3.2. Unterbringung

Bibliotheksbestände sind in geeigneten Räumen aufzubewahren. Räume sind geeignet, wenn sie die konservatorischen Voraussetzungen (Raumklima, bauliche Anforderungen) erfüllen, eine sichere Verwahrung gewährleisten und nur ein kontrollierter Zugang möglich ist.

4. Rechtliche und finanzielle Gesichtspunkte

4.1. Rechtsverhältnisse

Jede Erwerbsentscheidung muss dokumentiert werden. Verträge über die Übernahme von Bibliotheksbeständen bedürfen grundsätzlich der schriftlichen Form. Sollte das Eigentum dabei nicht übertragen werden, ist darauf zu achten, dass der übernehmenden Einrichtung daraus kein Nachteil entsteht. Dabei sollte die Verhältnismäßigkeit der gegenseitigen Leistungen gewährleistet sein. Übernommene Bibliotheksbestände sollen zu den in der übernehmenden Bibliothek üblichen Nutzungsbedingungen zugänglich gemacht werden.

4.2. Finanzielle Regelungen

Die Übernahme oder Auflösung großer Bibliotheksbestände kann mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden sein. Kosten entstehen vor allem aus der Verlagerung (Transport), der Aufbewahrung (räumliche Unterbringung, Restaurierung), der Zugänglichmachung (Katalogisierung, personelle Ausstattung), der Auflösung (Sichtung, Reduzierung, Vermarktung, Makulierung) und der qualifizierten Aussonderung bzw. der Erstellung von Ersatzformen. Die abgebende Stelle soll sich daher in angemessener Form an den Kosten beteiligen.

5. Beitrag der Diözesanbibliotheken

5.1. Aufgaben der Diözesanbibliotheken

Bei den Bemühungen um eine Bewahrung gefährdeter kirchlicher Bibliotheksbestände kommt der jeweiligen Diözesanbibliothek bzw. einer anderen vom Ortsbischof mit dieser Aufgabe betrauten kirchlichen Bibliothek eine bedeutende Rolle zu. Die Diözesanbibliotheken sind wissenschaftliche Einrichtungen. Sie sammeln, bewahren und erschließen historische und aktuelle Literatur zu allen theologischen Disziplinen sowie zu Geschichte und Kultur und machen sie allen Interessierten zugänglich. In bibliothekarischen Fragen beraten sie außerdem die diözesanen Dienststellen und die sonstigen kirchlichen Einrichtungen im Diözesangebiet.

5.2. Belegenheitsprinzip

Für Bibliotheken, die der Aufsicht des Ortsbischofs unterstehen, ist die jeweilige Diözesanbibliothek zuständig. Bei allen anderen Bibliotheken, die Diözesen zur Übernahme angeboten werden, soll sich die Zuständigkeit grundsätzlich nach dem Belegenheitsprinzip richten. Ein Zwang zur Annahme besteht nicht. Die Belegenheit bestimmt sich nach dem letzten Aufenthaltsort der Bibliothek. Abweichend vom Belegenheitsprinzip können Bibliotheksbestände auch an überdiözesane Schwerpunktbibliotheken mit unterschiedlichen thematischen Sammelgebieten abgegeben werden. Die Diözesanbibliotheken stehen anderen, innerhalb ihres Diözesansprengels gelegenen kirchlichen Rechtsträgern beratend zur Seite.

6. Beitrag der Arbeitsgemeinschaft der Katholisch-Theologischen Bibliotheken

6.1. Aufgaben der AKThB

In fachlichen Fragen steht die AKThB als Ansprechpartner beratend zur Verfügung.

Die Arbeitsgemeinschaft Katholisch-Theologischer Bibliotheken (AKThB) ist der Verband wissenschaftlicher Bibliotheken in katholisch-kirchlicher Trägerschaft. Er ist in allen bibliothekarischen Fragen die zuständige Stelle für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz sowie der Deutschen Ordensobernkonferenz. Der Verband vertritt die Interessen seiner gegenwärtig rund 160 Mitgliedsbibliotheken und gewährleistet den fachlichen Austausch, die Beratung und Fortbildung.

6.2. Dokumentation der Veränderungen im Jahrbuch „Kirchliches Buch- und Bibliothekswesen“ der AKThB

Alle Bibliotheken in kirchlicher Trägerschaft sind gebeten, dem Vorstand der AKThB Veränderungen bei großen oder bedeutenden Buchbeständen mitzuteilen. Die AKThB dokumentiert diese Veränderungen in ihrem Jahrbuch und informiert über Schwerpunktbibliotheken.

München, den 15. Mai 2009

Für das Erzbistum München und Freising

Dr. Reinhard Marx
Erzbischof von München und Freising

Weiterführende Literatur:

Kirchliche Bibliotheken in der Sendung der Kirche. Schreiben der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche vom 19. März 1994. Dokumentation der Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft der Katholisch-Theologischen Bibliotheken am 17. Juli 2002 in Wiesbaden-Naurod (= Arbeitshilfen 168).

Veröffentlichungsdatum: 15.05.2009

Normgeber: München und Freising

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